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Welt-Sichten: Verständigungen über Kultur


 

In elf Einzelvorträgen ausgewiesener Freiburger Referentinnen und Referenten aus einer großen disziplinären Bandbreite von der Sprach-, Literatur- und Geschichtswissenschaft bis zu Kunstgeschichte, Rechtswissenschaft und Biologischer Anthropologie gibt die Reihe „Welt-Sichten: Verständigungen über Kultur“ vielseitige und faszinierende Einblicke in aktuelle Fragestellungen und Erkenntnisse der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung an der Albert-Ludwigs-Universität.

Erstmals seit zwei Jahren finden die Vorträge wieder wöchentlich in Präsenz im großen Hörsaal 1010 im Kollegiengebäude I der Universität statt.

Zusätzlich werden die Vorträge aufgezeichnet und einige Zeit nach dem Vortrag online zugänglich gemacht. Zu finden sind die Aufzeichnungen dann jeweils über Links bei den einzelnen Vorträgen und gesammelt auf dem Medienportal des Studium generale.

 

Die Universität bittet alle Studierenden und Beschäftigen sowie Besucher*innen, auch weiterhin innerhalb der Gebäude eine FFP2-Maske oder eine medizinische Maske zu tragen.

 

Mittwoch / 20 Uhr c.t. / HS 1010

Prof. Dr. Heinrich Kirschbaum (Slavisches Seminar, Literaturwissenschaft)
Im Zeichen der (Anti-)Imperialität. Zu den jüngsten Entwicklungen im postsowjetischen Raum

Mittwoch, 27.04.22

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Anfang der 2020er Jahre kommt es in den postsowjetischen Ländern zu tektonischen Verschiebungen und Erschütterungen. 2020 rebelliert Belarus gegen den Diktator Lukašenko, der sich nur mit Gewalt und mit russischer Unterstützung an der Macht halten kann. Tausende Belarussen gehen ins Gefängnis, Hunderttausende ins Exil. Die Ereignisse überschlagen sich: Im Herbst 2020 kommt es zu einem Umsturz in Kirgistan, und im Bergkarabach entflammt erneut ein Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan. Im Januar 2022 erschüttern die Proteste Almaty und andere Städte Kasachstans, und es vergehen keine zwei Monate und das neoimperial besessene Russland beginnt einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Vortrag wird diese und andere Geschehnisse der letzten zwei Jahre nachzeichnen und einige diskursive Hintergründe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Ereignisse näher betrachten und diskutieren.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Otto Mühleisen (Politikwissenschaft, Universität Augsburg / Freiburg)
Kunst am Kaiserstuhl. Streifzug durch eine Kulturlandschaft

Mittwoch, 04.05.22

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Bekannt ist der Kaiserstuhl zunächst durch Flora und Fauna und natürlich wegen seiner besonderen Weine. Mit seinem reichen Bestand an kirchlichen Denkmälern mit über 30 Kirchen ist man bis auf Breisach und vielleicht Niederrotweil oder Endingen eher weniger vertraut. Mit diesem Vortrag wird an ausgewählten Beispielen von Architektur, Gemälden und Skulpturen ein Mosaik kirchlicher Kunst erschlossen, dessen Horizont vom Hohen Mittelalter bis in die Gegenwart reicht. Schwerpunkte sind dabei die Zeit um 1500, die Barockzeit und das 19. Jahrhundert.

 

 

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Reinhard (Historisches Seminar)
Gedächtnis, Erinnerungskultur und Moralpolitik

Mittwoch, 11.05.22

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In Deutschland haben leider die falschen Leute richtige Erinnerungen und richtige Leute falsche. Die letzteren versuchen nämlich, die Probleme des Rassismus und des Antisemitismus kraft ihrer medialen und politischen Deutungsmacht einfach durch Verbote zu lösen. Angesichts der historischen und anthropologischen Wirklichkeit kann so viel Moralpolitik aber nur schief gehen. Deshalb muss zuerst die Entwicklung vom individuellen Gedächtnis zur aktuellen Erinnerungskultur verfolgt werden. Dabei kommt der jüdischen Tradition einerseits, der Auseinandersetzung mit der Erinnerung an den Holocaust andererseits eine Schlüsselrolle zu. Dieser Sachverhalt hat inzwischen politische Bedeutung bekommen und ist heftig umstritten. Denn unsere Erinnerungskultur will einfach nicht wahrhaben, dass Menschen auch gruppenweise verschieden sein können. Doch wo alle gleich sind, dort sind unverzüglich einige gleicher als andere.

 

PD Dr. Christopher Meid (Deutsches Seminar, Abteilung Neuere Deutsche Literatur)
„Wilhelm Meisters Lehrjahre" als politischer Roman

Mittwoch, 18.05.22

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Goethes 1795/96 erstmals publizierter Roman orientiert sich an unterschiedlichen Gattungsmustern. Der Vortrag geht einer dieser Traditionslinien nach und verortet Wilhelm Meisters Lehrjahre im Kontext des politischen Romans der Aufklärung, einem Genre, das sowohl fürstliche Erziehungsprozesse als auch staatstheoretisches Wissen in Romanform darstellt. Auf diese von Fénelons Aventures de Télémaque (1699/1717) ausgehende Gattung, die im deutschen Sprachraum unter anderem von Wieland und Haller aufgenommen und transformiert wurde, bezieht sich auch Goethe, wenn er Motive wie Erziehung und ökonomische Theorie mit der literarischen Verarbeitung zeitgeschichtlicher Ereignisse, namentlich der Französischen Revolution, verbindet.

 

 

Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen (Biologische Anthropologie, Medizinische Fakultät)
Forensische Anthropologie: Die Wissenschaft jenseits von „Medical Detectives“ und „Bones“

Mittwoch, 25.05.22

(Eine Aufzeichnung ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.)

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Jeder Mensch ist einzigartig. Die individuelle Kombination variierender biologischer Merkmale ist ein Resultat aus Vererbung und der Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt. Damit stellt der Körper einen Biospeicher an zahlreichen Informationen dar, der geeignet ist, den Lebenslauf einer Person möglichst engmaschig zu rekonstruieren. Die Forensische Anthropologie macht sich genau dies zunutze: Um wen handelt es sich bei dem Unbekannten, dessen sterbliche Überreste Jahre nach seinem Tod aufgefunden wurden? Welche Informationen können wir aus den aufgefundenen Skelettüberresten gewinnen? In der Praxis von großer Relevanz ist ebenso die Identifizierung von Personen auf Bild- und Videomaterial im Zusammenhang mit Straftaten wie etwa: Ist der Täter eines Überfalls auf eine Tankstelle, aufgezeichnet durch Überwachungskameras, identisch mit dem Tatverdächtigen?
Im Vortrag werden die Möglichkeiten und Grenzen der Forensischen Anthropologie am Beispiel von realen Kriminalfällen vorgestellt und gegen Klischees und falsche Aussagen in den Medien abgegrenzt.


Prof. Dr. Ulrich Herbert (Historisches Seminar)
Walter Gerlach (1889-1979). Ein Physiker im politischen Feld

Mittwoch, 01.06.22

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Walter Gerlach war einer der bedeutendsten deutschen Physiker des 20. Jahrhunderts, der mit dem Stern-Gerlach-Experiment früh Weltruhm erlangte. Er gehörte als Münchner Ordinarius zu den profiliertesten Gegnern der „Deutschen Physik“, der seine jüdischen Mitarbeiter vor Verfolgung schützte, wurde zum einflussreichsten Naturwissenschaftler des Dritten Reiches und zum Leiter des „Uran-Vereins“, der die Möglichkeiten einer deutschen Atombombe untersuchte, wurde nach 1945 zu einem der einflussreichsten Wissenschaftsmanager der Bundesrepublik, einem engagierten Gegner der Atombewaffnung und Unterstützer der oppositionellen Studenten. Diese ebenso widersprüchliche wie symptomatische Biografie zu erzählen und zu entschlüsseln, ist Gegenstand des hier angekündigten Vortrags.

 

Prof. Dr. Sabina Becker (Deutsches Seminar, Abteilung Neuere Deutsche Literatur)
Babylon Berlin: Historische Realität oder kultureller Mythos?

Mittwoch, 22.06.22

HS 1098

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Die Rede vom Tanz auf dem Vulkan bestimmt bis heute die Beschreibung der Epoche von Weimar. Diesem Bild des Totentanzes ist der Mythos von Babylon Berlin verbunden, das jüngst mit der gleichnamigen Serie von Tom Tykwer, Achim von Borris und Henk Handloegten aktualisiert wurde. Allerdings wirft gerade diese Filmproduktion die Frage auf, was am Stereotyp des Vulkantanzes am Rande des Abgrunds historische Realität und was Mythos ist.
Ausgangspunkt einer Antwort soll im Vortrag der 1931 veröffentlichte Führer durch das lasterhafte Berlin des Journalisten Curt Moreck sein, der die Berliner Halb- und Unterwelten, aber auch die Zentren des Nachtlebens zeigt: Bars, Varietés und Tanzpaläste, Homosexuellenlokale gleichermaßen wie alternative Lokalitäten, etwa das zum Restaurant umgebaute Schwimmbad, sinnigerweise spezialisiert auf Fisch. Orte der Prostitution und des Verbrechens werden nicht ausgespart, gleichwohl lässt sich von dieser Darstellung ausgehend die Plausibilität des Babylon-Mythos diskutieren und hinterfragen: Waren die 20er Jahre eine auf einem brodelnden Vulkan taumelnde Ära mit einem schillernden Berliner Metropolenrausch, oder haben wir es doch nur mit einer pluralistischen Sphäre in einer Asphaltkultur zu tun, in der Alterität erstmals zur Welt der Moderne gehörte?

 

JunProf. Dr. Eva von Contzen (Englisches Seminar)
„Wir machen Listen, weil wir nicht sterben wollen“ – Die Faszination des Aufzählens zwischen Poetik und Praxis

Mittwoch, 29.06.22

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Das Verfassen von Listen ist eine der ältesten Formen der Schriftkultur, die bis heute nichts an ihrer Bedeutung verloren hat: Ob individuelle Einkaufs- oder To do-Listen, bürokratische Register oder Verzeichnisse, ob Beststeller-Listen oder Fußballtabellen, ob die Ergebnisse einer Google-Suche oder die Anordnung der Tweets bei Twitter – wir sind umgeben von Listen, die unser tägliches Leben strukturieren und unsere Wahrnehmung der Welt prägen. Umberto Eco, von dem das Zitat im Titel stammt, geht gar von einer existenziellen Dimension aus. Begegnen uns dagegen Listen und Aufzählungen in literarischen Texten, werden sie oftmals gerade nicht gelesen, sondern überblättert. Die Form der Auflistung scheint einem positiven Lektüreerlebnis geradezu entgegen zu stehen. Doch gibt es interessante historische Differenzen: Im Mittelalter beispielsweise waren Aufzählungen äußerst populär. Der Vortrag nimmt die Faszination der Liste als Form, d.h. ihre anziehende wie ihre abstoßende Wirkmächtigkeit, in den Blick und zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus der (v.a. englischsprachigen) Literaturgeschichte, wie Listen und Aufzählungen in literarischen Texten funktionalisiert wurden und werden.

 

Prof. Dr. Stefan Pfänder (Romanisches Seminar, Lehrstuhl für Interaktionale Linguistik)
Der Körper spricht (mit)! Aktuelle Befunde in der linguistischen Gesprächsforschung

Mittwoch, 06.07.22

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In den langen Monaten der Pandemie ist uns bewusst geworden, dass der Körper (mit)spricht, wenn wir uns unterhalten. Es ist dabei nicht nur die Mimik, wie sie bestenfalls von den Kameras in Videokonferenzen noch eingefangen wird; vielmehr sind es auch Blicke, das Mitschwingen bzw. Innehalten des Oberkörpers oder Bewegungen der Arme und Hände, die (mit)sprechen. Diese zumeist flüchtigen und sehr feinen Körperbewegungen geben uns im Gespräch u.a. Auskunft, wie das Gesagte verstanden werden soll bzw. wie es verstanden wird. In jüngster Zeit hat die linguistische Gesprächsforschung eine Vielzahl von systematischen Untersuchungen vorgelegt, welche zeigen, dass der Körper gerade dann (mit)spricht, wenn wir wollen, dass die Gesprächspartnerin mit uns gemeinsam ‚Sätze baut‘, also sich bspw. bei einer Wortsuche unterstützend einbringt, wenn es um den Ausdruck und ggf. die Aushandlung von Irritationen im Gespräch geht, oder wenn die Worte nicht auszureichen scheinen, um (berührende) Erfahrungen adäquat mit unserem Gegenüber zu teilen.

 

Prof. Dr. Matthias Jestaedt (Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Abteilung 3, Rechtstheorie)
Sehen mit den Augen der anderen: Was ist und zu welchem Ende betreibt man Verfassungsvergleichung?

Mittwoch, 13.07.22

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Warum wird in Deutschland recht genau verfolgt, ob die neue konservative 6:3-Mehrheit des U.S. Supreme Court die aus dem Jahre 1973 stammende Abtreibungsentscheidung Roe v. Wade kippen wird? Inwieweit kann uns das Wissen darum, dass in Österreich die Leihmutterschaft nicht gegen den sogenannten ordre public verstößt, für das Verständnis unserer Verfassungslage helfen? Was haben wir davon, zu wissen, dass der französische Conseil constitutionnel seine Entscheidungen im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht ausgesprochen wortkarg begründet? Gewiss gelten die Verfassungen der USA, Österreichs und Frankreichs nicht in Deutschland. Und doch haben Kenntnisse über diese Verfassungen hierzulande mehr als bloß rechtstouristischen Wert. Die Verfassungsvergleichung schärft den Blick dafür, dass die eigene Verfassung ohne die sonstigen Verfassungen – frühere und jetzige – nicht hinreichend in ihrem Werden und in ihrer Entwicklung, in ihrer Konventionalität und in ihrer Besonderheit begriffen werden kann. Das gilt umso mehr für das europäische Verfassungsrecht, welches in den Staaten Europas gilt, sich aber seinerseits den europäischen Verfassungsüberlieferungen verdankt.

 

Prof. Dr. Claudius Sittig (Deutsches Seminar, Abteilung Neuere Deutsche Literatur)
Aggregatzustände der Dichtung. Über Stimme und Schrift im Kontext literarischer Kommunikation

Mittwoch, 20.07.22

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Der Vortrag geht von der Beobachtung aus, dass Literatur vor allem in zwei medialen Vermittlungsformen in der Welt ist: entweder sichtbar in Form von schwarzen typographischen Schriftzeichen auf weißem Papier – oder hörbar artikuliert aus dem Mund einer Sprecherin oder eines Sprechers. Mit beiden Medien sind wir intuitiv bestens vertraut, aber das Verhältnis von Medium und Botschaft bestimmen wir je unterschiedlich. In unserer typographischen Kultur gilt die Annahme, dass Texte typographisch so gestaltet werden können, dass die Gestaltung ganz im Dienst der Lesbarkeit steht und die Schriftzeichen gleichsam transparent werden, um den Blick auf den übermittelten Inhalt freizugeben. Im Unterschied dazu scheint sich die interpretierende Haltung eines Sprechersubjekts, das in seiner Stimme quasi körperlich präsent ist, notwendig vor den gesprochenen literarischen Text zu schieben. Im Vortrag wird es darum gehen, die historischen Gründe für diese starke mediale Opposition von Stimme und Schrift im Kontext von literarischer Kommunikation zu rekonstruieren und mit Blick auf eine Reihe von Beispielen zu fragen, wie sich das Verhältnis anders bestimmen ließe.

 

 

Mit freundlicher Unterstützung der Volksbank Freiburg und der Badischen Zeitung